Im kompetenzbasierten Unterricht nutzen die Schüler:innen das Kompetenzraster als Landkarte, um sich durch die Lernumgebung zu bewegen und legen die Wege und Routen für ihr Lernen selbst fest. Während der traditionelle Unterricht noch einem Klassenausflug glich, bei dem die Lehrperson den Weg vorgab und jeder Moment gemeinsam erlebt wurde, machen sich die Schüler:innen eigenständig auf den Weg, erleben ihre eigenen Abenteuer, lösen Quests und berichten erst später, was sie erlebt und natürlich auch gelernt haben. Kein Wunder, dass bei dieser Form des Lernens Prüfungen im herkömmlichen Sinne den komplexen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Zu unterschiedlich sind die Wege, die Erfahrungen und das Lernen. Trotzdem ist es unerlässlich, dass ich als Lehrperson regelmässig sehe, wo meine Schüler:innen stehen, welche Ziele sie bereits erreicht haben und ob sie überhaupt noch auf dem Weg sind, den sie sich vorgenommen haben. Nur so kann ich Feedback geben und beurteilen, ob und wie gut die gesteckten Ziele erreicht wurden. In diesem Zusammenhang ist der Begriff "Assessment" gut geeignet, da er weit über die engen Grenzen einer traditionellen Prüfung hinausgeht und auch die Auswertung, Einschätzung und Beurteilung von Lernprozessen umfasst.
Die Gestaltung solcher individueller Assessments ist jedoch anspruchsvoll. Das fängt schon damit an, dass es keinen synchronen Zeitpunkt der Überprüfung gibt. Vielmehr muss ich als Lehrperson Wege finden, wie ich den Lernstand eines jede Schüler:in regelmässig und hoch individualisiert überprüfen kann. Gleichzeitig ist meine Zeit begrenzt. Ich muss also meine zeitlichen Ressourcen im Auge behalten, wenn ich alternative Beurteilungsformate einsetzen will. Hinzu kommt, dass es mit dem Aufkommen von KI zunehmend schwieriger geworden ist, authentische Leistungen zu erkennen, besonders wenn die Schüler:innen ihre Arbeiten im Open-Book-Format erstellen.
Ich muss also Wege finden, um die Schüler:innen einerseits zu authentischen Leistungen zu ermutigen und gleichzeitig Verpflichtungen schaffen, dass sie Hilfsmittel nur dann verwenden, wenn dies explizit erlaubt und erwünscht ist. In diesem Beitrag gehe ich auf verschiedene Assessment-Formate ein, überlege, welche Formate wann geeignet sind und was bei der Durchführung zu beachten ist, um sicherzustellen, ob die angestrebten Kompetenzen auch erreicht worden sind.
- Summativ oder Formativ?
- Wie können individuelle Assessments gelingen?
- Wir machen ein Assessment
- Lerngespräch
- Schriftliche Assessments
- Quizze
- Sprachnachricht
- Fazit und Ausblick
Summativ oder Formativ?
Assessments ermöglichen uns einen Einblick in den Kompetenzstand der Schüler:innen. Oftmals ist diese Beurteilung an eine Note geknüpft und der Lernprozess wird abgeschlossen. Im kompetenzorientierten Unterricht haben die Schüler:innen jedoch die Möglichkeit, ihre Kompetenzen mehrfach unter Beweis zu stellen. Anstatt eine Note zu setzen, wird anhand eines Pass/Fail Verfahrens eingeschätzt, ob die verlangte Qualität erreicht wurde oder nicht. Dann wird entschieden, ob die Kompetenz verbessert und in einem Redo nochmals gezeigt werden muss, oder ob die Kompetenz erfolgreich nachgewiesen werden kann. So erhalten Assessments einen formativen Charakter. Erst wenn die Kompetenz erfolgreich nachgewiesen wurde, ist sie abgeschlossen und kann summativ in die Note einfliessen.
Wie können individuelle Assessments gelingen?
Bevor wir nun die konkreten Assessment-Formate unter die Lupe nehmen, lohnt es sich, einige Aspekte zu beachten, die uns helfen können, Assessments so einzusetzen, dass die Schüler:innen von den Rückmeldungen profitieren und gleichzeitig unsere Ressourcen geschont werden. Dabei wollen wir die folgenden vier Leitfragen im Kopf behalten.
- Gibt es ein gemeinsames Verständnis von Qualität?
- Gibt das Assessment einen guten Einblick in den tatsächlichen Lernstand?
- Ermöglicht das Assessment effektives Feedback, mit dem die Schüler:innen weiter arbeiten können?
- Schonen die Assessments meine zeitlichen Ressourcen?
Wenn Schüler:innen sich eigenständig Kompetenzen aneignen, ist es unerlässlich, dass sie eine genaue Vorstellung haben, wie eine gute Leistung aussieht. Wir brauchen also ein klares Verständnis der Qualität, die die Schüler:innen im jeweiligen Fach erreichen müssen und müssen verschiedene Wege finden, diese mit den Schüler:innen zu teilen. Nur dann können sie im Assessment zeigen, ob sie diese Qualität auch erreicht haben.
Mit den Assessments wollen wir erfassen, was die Schüler:innen über das Thema wissen und welche konkreten Fähigkeiten sie bereits angeeignet haben. Es lohnt sich daher, genau zu überlegen, welches Assessment-Format welche Kompetenzen am besten abbildet. Wird das angehäufte Wissen sichtbar der das Verständnis des Themas? Zeigt das Assessment auf, wie eigene Wege begangen sind oder oder bildet es überfachliche Kompetenzen ab?
Damit die Schüler:innen entsprechend ihren Kompetenzen weiterarbeiten, brauchen sie zielgerichtetes Feedback. Es gilt daher zu beachten, welches Assessment-Format welche Rückmeldungen zulässt und wie die Schüler:innen dieses Feedback nutzen können, um ihren weiteren Lernweg zu bestimmen.
Zu guter Letzt müssen wir anerkennen, dass individuelle Assessments sehr zeitintensiv sind. Umso wichtiger ist es, beim Einsatz eines Assessment-Formats zu überprüfen, wie sehr unsere Zeit dabei in Anspruch genommen wird und Wege zu finden, diesen Aufwand auf ein machbares Niveau zu reduzieren.
Im nächsten Abschnitt werde ich die verschiedenen Assessment-Formate wie Quizze, mündliche Gespräche, schriftliche Aufgaben und Sprachnachrichten genauer beleuchten.
Wir machen ein Assessment
Nun geht es darum, eigene Assessments für unseren kompetenzorientierten Unterricht zu entwickeln. Wir sprechen im Plural, denn genau so unterschiedlich wie die Kompetenzen, die die Schüler:innen meistern, sind auch die Formate, mit denen wir den erfolgreichen Nachweis sicherstellen können. Innerhalb einer Lerneinheit werden daher oft verschiedene Formate zum Einsatz kommen. Im Folgenden stelle ich Assessment-Formate vor, die ich in meinem Unterricht verwende und erläutere, für welche Kompetenzen sie geeignet sind, welche Möglichkeiten des Feedbacks sie bieten und wie wir den Zeitaufwand in Grenzen halten können.
Lerngespräch
Das mündliche Lerngespräch ist sicherlich der effektivste Weg, um zu überprüfen, wo die Schüler:innen in ihrem Lernweg stehen. Hier sehe ich sehr schnell, ob sie das Thema wirklich verstanden haben. Ich bin im direkten Austausch mit den Schüler:innen, kann nachhaken und ihnen genauer auf den Zahn fühlen, wenn sie beim ersten Erklärungsansatz noch nicht ganz den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Da bei den Lerngesprächen keine Hilfsmittel genutzt werden können, stelle ich sicher, dass die Schüler:innen mir hier ihre authentischen Leistungen zeigen. Die Stärke des mündlichen Gesprächs liegt auch in der direkten Form der Rückmeldung, die ich den Schüler:innen für ihre Leistung geben kann. Wenn die Anforderungen noch nicht erfüllt sind, kann ich den Schüler:innen genau sagen, welchen Bereich sie bis zum nächsten Gespräch noch vertiefen sollen.
Lerngespräche müssen aber nicht zwingend nur genutzt werden, um Wissenskompetenzen nachzuweisen. Vielmehr bieten sie den Schüler:innen eine Möglichkeit, um Rückmeldungen zu ihren Projekten einzuholen, Ideen zu zeigen, gemeinsam zu brainstormen oder das gemeinsame Verständnis von Qualität zu überprüfen.
Bei allen Vorteilen sind mündliche Gespräche aber auch sehr zeitintensiv. Deswegen lohnt es sich, über die Spielregeln genau zu reglementieren, wann ein mündliches Lerngespräch genutzt werden kann. Zum Beispiel mit Zulassungsprüfungen, Lerngesprächen in Gruppen oder über den Einsatz von Terminplanern. In meinem Unterricht bin ich dazu übergegangen, die Wissenskompetenzen nur noch selten in einem Lerngespräch zu überprüfen, weil es so viel Zeit in Anspruch nimmt. Die Schüler:innen müssen immer zuerst ein Quiz absolvieren (siehe unten) und kommen nur zu einem Gespräch, wenn sie die Mindestanforderungen nicht erreichen. So habe ich mehr Zeit für die Betreuung der Projekte.
Schriftliche Assessments
Schriftliche Leistungsnachweise sind ein zentrales Element des kompetenzorientierten Unterrichts. Das Verfassen von Texten gibt den Schüler:innen die Möglichkeit, sich für die Erstellung Zeit zu nehmen, ihre Gedanken zu ordnen und ihr Wissen zu strukturieren. Kurz gesagt, schriftliche Assessments bieten eine gute Möglichkeit, einen Einblick in den Lernprozess der Schüler:innen zu erlangen.
Mit dem Aufkommen von KI-Sprachmodellen wird es immer schwieriger, in einem Text nachzuvollziehen, was die Schüler:innen selbst geschrieben haben und was von einem Bot generiert wurde. Das hat mich auch zur Entscheidung gebracht, dass ich keine Wissenskompetenzen mehr in schriftlicher Form abfrage. Zu einfach ist es, die Antworten auf die Leitfragen meiner Module zu generieren. Zudem sollen die Schüler:innen das Wissen der Grundlagenthemen so verinnerlichen, dass sie es auch ohne Hilfestellungen abrufen können. Schriftliche Arbeiten bilden aber weiterhin das Herzstück der Projekte, die ich im Unterricht durchführe. Diese Texte werden in einer offenen Umgebung geschrieben, so dass sie alle Hilfsmittel bei der Erstellung nutzen können. Dabei gibt es aber klare Regeln. So verwende ich die KI Ampel, um festzulegen, wofür KI-Tools genutzt werden können und halte mit die Option offen, bei einem Verdachtsfall die Kompetenz in einem mündlichen Lerngespräch einzufordern.
In meinen Projekten erhalten die Schüler:innen zudem die Möglichkeit, ihre Texte mehrmals zu überarbeiten. Einmal erhalten sie dazu ein schriftliches Feedback. Damit sich hierbei mein Aufwand in Grenzen hält habe ich fixe Deadlines für Feedback-Abgaben eingeführt. Damit erhalte ich alle Texte zum gleichen Zeitpunkt und kann sie in einem Durchgang durchsehen und Rückmeldungen verfassen. Wenn die Schüler:innen nun weiter an den Texten arbeiten, müssen sie alle Änderungen im Text sichtbar machen (am besten mit dem Überarbeiten-Modus in Word). Wenn ich die fertigen Projekte dann bewerte, lese ich nur noch die Überarbeitungen und spare so viel Zeit.
Quizze
Ein einfacher Weg, in dem Schüler:innen ihren Leistungsstand erheben können, besteht in der Durchführung von Quizzen. Diese eignen sich besonders für das Abfragen von Wissenskompetenzen. Mit der Möglichkeit, Quizze automatisch korrigieren zu lassen, können wir dabei auch unsere zeitlichen Ressourcen schonen.
Die meisten Quiz-Tools erlauben auch eine sofortige Rückmeldung an die Schüler:innen, die ihnen einerseits summativ aufschlüsseln, wie viele Fragen sie richtig hatten, aber auch welche Fehler sie gemacht hatten. Diese Rückmeldung kann dann genutzt werden, um weiter an der Kompetenz zu arbeiten und ist eine wichtige Voraussetzung, wenn die Kompetenz in einem Redo nochmals gezeigt werden soll.
In meinem Unterricht nutze ich Quizze, um Wissenskompetenzen zu überprüfen, denn hier wird das Wissen über die Grundlagenthemen abgefragt. Dabei haben sie eine summative Funktion und entscheiden darüber, ob eine Kompetenz nachgewiesen wurde und so an die Semesternote angerechnet wird. Die Quizze finden zu einem festgelegten Zeitpunkt statt und umfassen meistens gleich 2-3 Wissensmodule. Dies hat positive Folgen für alle Beteiligten. Ich spare mir Zeit und Korrekturaufwand und die Schüler:innen können in kurzer Zeit mehrere Kompetenzen erreichen und brauchen nicht jede einzelne Kompetenz in einem aufwändigen Gespräch darlegen. Wenn die Schüler:innen weniger als 75% der Fragen richtig beantworten, gelten die Kompetenzen als noch nicht gezeigt. In diesem Fall erhalten die Schüler:innen ihre Antworten auf das Quiz und können sich damit auf einen zweiten Nachweis vorbereiten. Dieser findet in einem Gespräch statt, indem auf die einzelnen Fragen eingegangen wird.
Sprachnachricht
Ein weiteres Assessment-Format, das ich in meinem Unterricht einsetze, sind Audioaufnahmen, die sie mir als Sprachnachrichten schicken dürfen. Diese sind ausschliesslich für Wissenskompetenzen vorgesehen und ermöglichen es den Schüler:innen, die Leitfragen eines Wissensmoduls mündlich darzulegen und dabei auf die entsprechenden Inhalte einzugehen.
Das Format hat mehrere Vorteile. Für die Schüler:innen ist es eine vertraute Kommunikationsform, da viele von ihnen bereits im Alltag oft per Sprachnachricht kommunizieren. Zudem können sie ihr Wissen flexibel und mündlich darlegen, was gerade für diejenigen hilfreich ist, die Schwierigkeiten mit Schreiben haben. Auch für mich als Lehrperson ist es praktisch, da ich die Audionachrichten asynchron anhören und somit unabhängig von der begrenzten Unterrichtszeit beurteilen kann.
Um sicherzustellen, dass die Inhalte authentisch sind, ist die Nutzung von Hilfsmitteln nicht gestattet. Die Schüler:innen sind angewiesen, frei zu sprechen, idealerweise in Mundart, um das Ablesen von Texten zu vermeiden. Wenn Zweifel an der Authentizität bestehen, kann ich ein mündliches Gespräch ansetzen, um das tatsächliche Können zu überprüfen.
Fazit und Ausblick
Assessments können sehr unterschiedliche Formen und Funktionen annehmen. Das primäre Ziel besteht darin, dass die Schüler:innen eine klare Einschätzung zu ihrem Lernstand erhalten. Diese Einschätzung dient nicht nur der reinen Beurteilung, sondern vor allem als Grundlage, um durch gezieltes Feedback Orientierung für die nächsten Lernschritte zu geben. Ob dies durch ein Lerngespräch, ein Quiz oder ein schriftliches Produkt geschieht, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist, dass die Schüler:innen verstehen, wo sie stehen, welche Fortschritte sie gemacht haben und was sie konkret verbessern können.
Natürlich können Assessments auch summative Funktionen einnehmen, beispielsweise als Grundlage für die Notengebung. Im kompetenzbasierten Unterricht liegt der Fokus jedoch auf dem Lernprozess: Die Schüler:innen sollen ihre Kompetenzen schrittweise entwickeln und in verschiedenen Formaten zeigen können. Dadurch wird nicht nur die Qualität der Lernleistung gefördert, sondern auch die Selbstständigkeit und die Reflexionsfähigkeit der Schüler:innen. Assessments werden so zu einem Werkzeug, das nicht abschreckt, sondern ermutigt, Herausforderungen anzunehmen und sich kontinuierlich zu verbessern.
Assessments funktionieren am besten in einem gut strukturierten Rahmen in Form von Kompetenzrastern, klaren Spielregeln und Scaffolding mit geeigneten Hilfestellungen. All dies beschreibe ich in weiteren Blog-Beiträgen.
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© Lukas Pfeifer, 2025