SELF bietet eine Lernumgebung, in der sich die Schüler:innen selbständig bewegen können. Sie haben die Freiheit, viele Entscheidungen selbst zu treffen und ihre erworbenen Kompetenzen dann zu zeigen, wenn sie dazu bereit sind. Damit sie in einer so offenen Lernumgebung erfolgreich agieren können, braucht es jedoch gewisse Leitplanken, die Orientierung bieten und ihnen helfen, auch wirklich die Ziele zu erreichen, die sie sich vorgenommen haben. Verbindlichkeiten müssen dabei nicht als Hindernisse gesehen werden, die den Lernprozess komplizieren, sondern als Hilfestellungen, die Schüler:innen unterstützen, die verfügbare Zeit effizient zu nutzen und Lernwege ohne allzu grosse Umwege zu wählen. Im besten Falle können sie sie sogar motivieren, mehr zu machen und auch anspruchsvolle Aufgaben anzugehen.
Auf der anderen Seite müssen gut formulierte Regeln auch zu einer Entlastung von uns Lehrenden führen. Die Vorbereitung und auch die Durchführung eines kompetenzorientierten Unterrichts ist enorm aufwändig. Alle Module müssen im Vorfeld vorbereitet werden und während der Lernphasen kann unsere Zeit schnell durch Lerngespräche oder die Korrektur von schriftlichen Kompetenzen blockiert sein. Umso wichtiger ist es, dass wir mit gezielten Verpflichtungen dafür sorgen, dass sich dieser Aufwand in machbaren Grenzen hält.
In diesem Beitrag zeige ich verschiedene Ansätze, die bei der Erstellung von Spielregeln beachtet werden können, so dass sie für die Schüler:innen nachvollziehbar sind und sie zum Lernen motivieren. Dafür betrachten wir unterschiedliche Formen von Verbindlichkeiten und ihre Wirkung auf die Arbeit der Schüler:innen. Auf dieser Ausgangslage präsentiere ich mehrere Bündel an Regeln, die dann jede Lehrperson selbst zu einem Strauss zusammenstellen kann.
- Wie können Spielregeln gelingen?
- Wir erstellen unsere Spielregeln
- Verbindliche Inhalte
- Verbindliche Zeiten
- Verbindliche Abgaben
- Verbindliche Authentizität
- Joker
- Fazit und Ausblick
Wie können Spielregeln gelingen?
Als Lehrpersonen sind wir es gewohnt, Regeln aufzustellen und durchzusetzen. Häufig dienen diese Regeln dazu, ein bestimmtes Verhalten zu fördern oder Leistungen der Schüler:innen einzufordern. Im kompetenzbasierten Unterricht, der auf Eigenständigkeit und Selbstverantwortung der Lernenden setzt, ist ein solch einseitiges Reglementieren jedoch nur bedingt zielführend. Vielmehr sollen sie hier unterstützt werden, sich eigenständig und aktiv durch die Lernumgebung zu bewegen. Damit unsere Spielregeln diesem Ziel gerecht werden, müssen sie sorgfältig und durchdacht formuliert werden. Die Schüler:innen sollen sich nicht von Regeln eingeschränkt fühlen, sondern sie als Hilfsmittel wahrnehmen, die ihnen Klarheit und Struktur geben und gleichzeitig Raum für eigene Entscheidungen lassen. Um dies zu erreichen, können wir uns an vier grundlegenden Leitfragen orientieren:
- Fördern meine Spielregeln die Motivation der Schüler:innen?
- Schaffen meine Spielregeln klare Verbindlichkeiten?
- Unterstützen die Regeln die Schüler:innen dabei, einen sinnvollen Lernweg einzuschlagen?
- Helfen die Spielregeln, meine zeitlichen Ressourcen zu schonen?
Spielregeln sollten dazu beitragen, dass Schüler:innen mit Engagement arbeiten und sich auch anspruchsvollen Aufgaben stellen. Dazu müssen die Regeln nachvollziehbar sein und klare Anreize schaffen, die intrinsische Motivation zu fördern.
Um Selbstständigkeit zu fördern, brauchen Schüler:innen Strukturen, die ihnen Orientierung bieten. Verbindliche Regeln helfen, klare Rahmenbedingungen zu setzen, an denen sich alle Beteiligten orientieren können. Dies erleichtert nicht nur das Einfordern von Leistungen, sondern stärkt auch die Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit.
Regeln sollten nicht nur Kontrolle ausüben, sondern die Schüler:innen aktiv dabei unterstützen, ihre Lernziele zu erreichen. Trotz aller Freiheiten können gute Spielregeln auch klare Wege vorgeben, indem gewisse Kompetenzen obligatorisch sind oder in einer bestimmten Reihenfolge nachgewiesen werden müssen.
Effektive Spielregeln berücksichtigen nicht nur die Bedürfnisse der Schüler:innen, sondern auch die von uns Lehrpersonen. Sie sollten dazu beitragen, den eigenen Aufwand zu reduzieren, indem sie klare Prozesse und Strukturen schaffen, die unnötige wiederholte Überprüfung von Kompetenzen oder zusätzliche Korrekturarbeit vermeiden.
Mit diesen vier Prinzipien haben wir nun das Rüstzeug, um konkret zu werden: Wie lassen sich solche Spielregeln in der Praxis umsetzen? Im nächsten Schritt erstellen wir unser eigenes Regelwerk und betrachten, wie wir dabei Verbindlichkeiten, Motivation und klare Strukturen in Einklang bringen können.
Wir erstellen unsere Spielregeln
Wenn wir nun beginnen, eigene Spielregeln für den kompetenzbasierten Unterricht aufzustellen, können wir nun unterschiedliche Formen von Verbindlichkeiten und ihre Funktionen berücksichtigen. Verbindlichkeiten können einerseits festlegen, welche Inhalte wann und in welcher Reihenfolge bearbeitet werden können. Zudem können wir festlegen, wie oft eine Kompetenz gezeigt werden kann und in welcher Form diese nachgewiesen werden kann. Im Folgenden habe ich vier Formen von Verbindlichkeit definiert und daraus mögliche Regeln für meinen Unterricht abgeleitet. Achtung, diese Regeln beziehen sich zum Teil sehr spezifisch auf meinen Unterricht, der in Wissen und Projekte unterteilt ist. Die unterliegenden Prinzipien sind aber auf alle möglichen Szenarien anwendbar.
Verbindliche Inhalte
In SELF können die Schüler:innen sich zwar relativ frei durch die Lernumgebung bewegen, dennoch hilft es, wenn gewisse Pfade klar vorgegeben werden. Dies ist notwendig, da einige Kompetenzen die Grundlage für fortgeschrittenere Arbeiten darstellen. Dabei unterschiede ich in meinem Unterricht zwischen Wissen und Projekten.
Wissen bildet die Basis des gesamten Unterrichts. Es ist in einzelne Module unterteilt, die die Schüler:innen selbständig bearbeiten und ihr Wissen anschliessend in einem Gespräch, Quiz oder einer Sprachnachricht nachweisen. Mit Wissenskompetenzen kann maximal die Note 4 erreicht werden, da sie lediglich die Grundlage für weiterführende Arbeiten darstellen.
Auch Projekte sind in einzelne Kompetenzen unterteilt, die aufeinander aufbauen, d.h. bei jedem Projekt muss zuerst eine Vorbereitung mit Recherche und Planung durchgeführt werden, bevor zur Erstellung des Produkts übergegangen wird. Höhere Noten können erreicht werden, wenn mehrere Kompetenzen nachgewiesen werden. Diese Kompetenzen sind in Kompetenzbündel unterteilt, wobei jedes Bündel einer halben Note entspricht.
Aus dieser Grundlage habe ich nun folgende Regeln festgelegt:
REGELN FÜR VERBINDLICHE INHALTE
- Nur wenn die verlangten Wissenskompetenzen nachgewiesen werden, kann die Note 4 erreicht werden.
- Einige Wissensmodule sind obligatorisch und bilden das Grundlagenwissen, während andere freiwillig gewählt werden können.
- Wissenskompetenzen können nicht durch Projektkompetenzen kompensiert werden.
- Projektkompetenzen müssen immer in der vorgegebenen Reihenfolge nachgewiesen werden; ohne Vorbereitung kann kein Produkt erstellt oder beurteilt werden.
- Nur wenn alle verlangten Projektkompetenzen in einem Kompetenzbündel nachgewiesen werden, erhalten sie die Notenpunkte.
Diese Regeln stellen sicher, dass die Schüler:innen eine solide Wissensgrundlage erarbeiten, bevor sie die Projekte in Angriff nehmen. Gleichzeitig wird die Qualität der Projekte erhöht, wenn die Arbeit nicht nur auf die Endprodukte reduziert, sondern auch die Dokumentation der Vorbereitung verbindlich gemacht wird. Diese Struktur leuchtet auch den Schüler:innen ein und schafft eine klare Orientierung.
Verbindliche Zeiten
Im kompetenzbasierten Unterricht wird meine Zeit vor allem für Lerngespräche genutzt – sei es zur Einschätzung gezeigter Kompetenzen oder zur Unterstützung der Schüler:innen bei ihren Projekten. Diese Zeit ist jedoch sehr begrenzt und somit ein kostbares Gut. Dieses Bewusstsein, dass Zeit eine limitierte Ressource ist, muss auch mit den Schüler:innen geteilt werden.
Denn nur wenn sie erkennen, dass die gemeinsame Zeit im Unterricht ein knappes Gut ist, werden sie gefördert, ihr Zeitmanagement gezielt zu verbessern. Spielregeln können dieses Bewusstsein unterstützen, indem sie klare Strukturen schaffen, wie und wann Zeit genutzt werden darf. Dies kann etwa mit Terminplanern unterstützt werden, in denen die Schüler:innen selbst Termine für Lerngespräche buchen müssen oder mit verbindlichen Deadlines für Projektabgaben. So lernen die Schüler:innen nicht nur, ihre Zeit besser einzuteilen, sondern auch den Wert der gemeinsamen Zeit mit mir als Lehrperson zu schätzen und diese zielgerichtet zu nutzen. Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende Regeln:
REGELN FÜR VERBINDLICHE ZEITEN
- Für das mündliche Zeigen von Wissenskompetenzen muss immer ein Termin gebucht werden.
- Das mündliche Zeigen von Wissenskompetenzen muss immer in 2-3er Gruppen erfolgen.
- Projektkompetenzen müssen immer zu einer festgelegten Deadline erfolgen. Wird eine Deadline verpasst, gilt die Kompetenz als nicht gezeigt und ein Joker muss gesetzt werden, um die Kompetenz nochmals nachzuweisen.
Mit diesen Regeln gebe ich den Schüler:innen einerseits die Möglichkeit, Termine selbst zu buchen. Gleichzeitig mache ich Zeit als limitierte Ressource sichtbar und schaffe klare Verbindlichkeiten, um Projekte rechtzeitig zu den Deadlines abzugeben.
Verbindliche Abgaben
In einem nächsten Schritt können wir Verbindlichkeiten herstellen, indem wir festlegen, wie und wie oft Kompetenzen gezeigt oder Projekte abgegeben werden können. Da die Schüler:innen in SELF die Möglichkeit haben, ihre Kompetenzen eigenständig nachzuweisen, ist es entscheidend, dass sie sich gründlich auf diese Überprüfungen vorbereiten und formale Anforderungen einhalten. Gerade bei Lerngesprächen wollen wir verhindern, dass sie unvorbereitet erscheinen und so die knappe und wertvolle Zeit im Unterricht mit zahlreichen Redos unnötig strapazieren.
Aber auch bei der Abgabe von Projekten kann es Sinn machen, klare Vorgaben zu den Formaten und Standards zu machen. Diese bieten den Schüler:innen Struktur, Orientierung und eine Vorstellung von Qualität. Im gleichen Zuge sparen wir dabei auch unsere Ressourcen, indem wir einheitliche und strukturierte Produkte erhalten, die unsere Korrekturarbeit erleichtern. Um sicherzustellen, dass Assessments gezielt und effizient ablaufen, habe ich folgende Regeln festgelegt:
REGELN FÜR VERBINDLICHE ABGABEN
- Projektabgaben dürfen ausschliesslich über die entsprechende Aufgabe in Microsoft Teams erfolgen. Andere Abgabeformate werden nicht berücksichtigt.
- Kompetenzen dürfen maximal zweimal gezeigt werden, ansonsten gelten sie als nicht erfüllt.
- Falls die Anforderungen auch beim zweiten Versuch nicht erfüllt werden, muss ein Joker eingesetzt werden, um einen dritten Versuch zu ermöglichen.
Diese Regeln fördern Verbindlichkeit und Eigenverantwortung, da die Schüler:innen sicherstellen müssen, dass sie gut vorbereitet zu einem Assessment erscheinen. Gleichzeitig bleibt die Möglichkeit zur Verbesserung erhalten, ohne dass mein zeitlicher Aufwand durch unvorbereitete Lerngespräche erhöht wird. So wird eine Balance zwischen Unterstützung und klaren Strukturen geschaffen.
Verbindliche Authentizität
In Zeiten der Digitalisierung und des rasanten Aufstiegs von KI wird es zunehmend schwieriger, bei schriftlichen Aufgaben zu erkennen, welche Teile tatsächlich von den Schüler:innen stammen und welche mit Hilfe von KI Bots generiert wurden. Dennoch bedeutet dies nicht, dass ich auf solche Formate verzichten muss. Vielmehr ist es entscheidend, im Unterricht ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wann Leistungen eigenständig erbracht werden müssen und wann der Einsatz von Hilfsmitteln sogar erwünscht ist. Hierbei hilft mir wieder die Unterscheidung zwischen Wissens- und Projektkompetenzen. Wissenskompetenzen dienen als Grundlage für den Unterricht und müssen eigenständig, ohne Hilfsmittel, nachgewiesen werden. Projekte hingegen erfordern oft den gezielten Einsatz digitaler Tools, etwa für Brainstorming, Recherche oder sprachliche Überarbeitung. Entscheidend ist dabei, dass die Schüler:innen offenlegen, welche Teile ihrer Arbeit mit Hilfsmitteln erstellt wurden und was ihre eigene authentische Leistung ausmacht. Um dies zu gewährleisten, unterstützen mich folgende Spielregeln:
REGELN FÜR VERBINDLICHE ABGABEN
- Wissenskompetenzen müssen mündlich nachgewiesen werden – entweder in einem Gespräch oder als Sprachnachricht. Sprachnachrichten müssen dabei in Mundart und frei vorgetragen werden.
- Projekte erfordern die korrekte Angabe der genutzten KI-Hilfsmittel in Fussnoten und im Literaturverzeichnis.
- Bei Verdacht auf unzulässige Nutzung von KI kann ein Lerngespräch angeordnet werden, in dem die Schüler:innen ihre Arbeit darlegen und nachweisen müssen. Dieses Gespräch entscheidet, ob die Kompetenz erfolgreich nachgewiesen wurde.
Diese Regeln helfen den Schüler:innen, ein klares Verständnis dafür zu entwickeln, wann eigenständige Leistungen erforderlich sind und wann der Einsatz digitaler Tools legitim ist. Besonders bei Projektarbeiten sorgt die Möglichkeit, Leistungen in einem Lerngespräch zu prüfen, für Verbindlichkeit und Authentizität. In einem Gespräch, bei dem alle Hilfsmittel wegfallen, zeigt sich schnell, ob die Schüler:innen das Thema tatsächlich verstanden haben und in der Lage sind, ihre eigene Arbeit überzeugend darzulegen. Für meinen Unterricht nutze ich zusätzlich eine KI Ampel, die die unterschiedlichen Anwendungsformen von KI im Unterricht regelt.
Joker
Joker sind eine Möglichkeit, den Schüler:innen im kompetenzbasierten Unterricht zusätzliche Flexibilität zu geben und sie in schwierigen Situationen zu entlasten. Sie helfen, wenn äussere Umstände wie Krankheit oder andere Hürden die rechtzeitige Erbringung einer Leistung verhindern. Gleichzeitig erleichtern sie auch uns als Lehrpersonen die Arbeit, da wir nicht bei jedem Einzelfall eine Sonderregelung treffen müssen. Stattdessen übergeben wir die Verantwortung den Schüler:innen, die selbst entscheiden können, wann sie eine Entlastung benötigen. Meine Regeln bezüglich der Joker sehen folgendermassen aus:
REGELN FÜR JOKER
- Jede:r Schüler:in erhält zu Beginn des Schuljahres zwei Joker.
- Ein Joker erlaubt es, nach zwei erfolglosen Versuchen eine Kompetenz ein drittes Mal zu zeigen.
- Mit einem Joker kann eine Projektabgabe um eine Woche verschoben werden, falls äußere Umstände dies erforderlich machen.
Diese Regeln geben den Schüler:innen die Möglichkeit, in schwierigen Situationen flexibel zu reagieren, ohne dass der Lernprozess ins Stocken gerät. Gleichzeitig fördern sie Eigenverantwortung und Motivation, da die Joker sparsam eingesetzt werden müssen. Im besten Fall werden sie gar nicht genutzt, aber allein das Wissen, dass sie da sind, wenn man sie wirklich braucht, entlastet.
Fazit und Ausblick
Spielregeln sind ein unverzichtbares Element im kompetenzbasierten Unterricht. Sie schaffen Orientierung, fördern Motivation und Verbindlichkeit und helfen sowohl den Schüler:innen als auch uns Lehrpersonen, die knappen zeitlichen Ressourcen effektiv zu nutzen. Durch klare Vorgaben, wie und wann Kompetenzen gezeigt oder Projekte abgegeben werden, wird Eigenverantwortung gestärkt und der Lernprozess strukturiert. Ergänzt durch unterstützende Angebote wie Joker, die Flexibilität und Verbindlichkeit in Einklang bringen, können Spielregeln zu einem nachhaltigen Lernerfolg beitragen.
Somit legen sie einen wichtigen Grundstein für das selbstgesteuerte Lernen gelegt. Damit dieses aber wirklich seine volle Wirkung entfachen kann, braucht es behutsames Scaffolding, passende Assessment-Formate und klar strukturierte Lernphasen. All dies beschreibe ich in weiteren Blog-Beiträgen.
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© Lukas Pfeifer, 2025