Oftmals gleicht das Lernen im Unterricht einem Rennen, in dem sich alle Teilnehmenden zur selben Zeit entlang einer vorgegebene Strecke bewegen. Am Ende des Rennens werden die Ergebnisse bewertet und mit einer Note versehen. Hier wird das Lernen abrupt beendet. Doch diese Zahl sagt wenig darüber aus, wie der Weg bestritten wurde. Sie zeigt weder an, welche Pfade gewählt wurden, noch, ob der Lernprozess tiefgreifend oder oberflächlich war. Werden die Noten in einen Durchschnitt verrechnet, verlieren sie jegliche Aussagekraft. Eine 4.5 offenbart nichts darüber, welche Kompetenzen erworben wurden oder an welchen Stellen man noch Lücken hat.
SELF bietet uns hier Möglichkeiten, die Notengebung transparenter zu machen. Mit einem gut strukturierten Kompetenzraster können sich die Lernenden selbst durch die Lernumgebung bewegen, ihr Tempo wählen und eigene Ziele setzen und verfolgen. Besser noch: Mit der Möglichkeit, ihre Kompetenzen zu zeigen, entstehen Checkpoints entlang der Strecke, an denen sie ihre Kompetenzen einschätzen und nötige Verbesserungen vornehmen können. Dieser Ansatz wirkt sich dann auch unweigerlich auf die Benotung aus. Hier geht es nicht um das blosse Zusammenrechnen von Punkten, sondern um die Summe der nachgewiesenen Kompetenzen. Damit erhält sie eine grössere Aussagekraft, da sie direkt darauf verweist, was gelernt und gemeistert wurde.
In diesem Beitrag betrachten wir verschiedene Wege, wie aus Kompetenzrastern Noten erzeugen können. Dabei zeige ich zuerst einzelne Beispiele der Benotung von Einzelkompetenzen, bevor ich dann auf mein eigenes Notensystem mit Kompetenzbündeln eingehe. An dieser Stelle fokussieren wir uns aber nur auf mögliche Konvertierung der Kompetenzen in Noten. Die Erstellung der Kompetenzraster und die Durchführung der Assessments bespreche in anderen Beiträgen.
- Wie kann die Notengebung in SELF gelingen?
- Wir setzen ein Note
- Kompetenzen gewichten
- Kompetenzbänder und Notengespräche
- Kompetenzbündel
- Fazit und Ausblick
Wie kann die Notengebung in SELF gelingen?
Wie wir gesehen haben, gibt uns der Unterricht in SELF mehrere Werkzeuge an die Hand, in der die Note aussagekräftig wird und den wirklichen Lernstand der Schüler:innen widerspiegelt. Gleichzeitig ist sie ein Ausdruck der erreichten Qualität der Leistungen und nicht nur die Verrechnung von Punkten aus einem Test. Damit wir diese hohen Ansprüche an eine Note in SELF auch erreichen, müssen drei Voraussetzungen beachtet werden:
- Wir brauchen eine klares Verständnis von Qualität der Leistungen in unserem Fach als Grundlage für die Benotung.
- Diese Vorstellung von Qualität machen wir nun in unserem Kompetenzraster sichtbar.
- Und schliesslich müssen wir die einzelnen Kompetenzen sinnvoll gewichten.
Dafür müssen wir definieren, was eine genügende oder exzellente Leistung ausmacht und welche Mindestanforderungen erfüllt werden müssen. Die Frage lautet nicht: „Wie viele Punkte gibt es für eine Aufgabe?“, sondern: „Was zeichnet eine unzureichende, genügende oder eine sehr gute Leistung aus?“
Das Raster muss so ausgearbeitet sein, dass nicht nur einzelne Kompetenzen definiert, sondern diese auch in nachvollziehbare Schwierigkeitsstufen unterteilt sind. So schaffen wir eine Orientierung für alle Beteiligten und die Grundlage für die Benotung.
So können wir sie dann anhand der formulierten Qualitätskriterien in eine Note zu konvertieren. Ziel dabei ist, dass eine Note entsteht, die auch den aktuellen Leistungsstand abbildet.
Nur wenn wir alle drei Aspekte genau bedenken, können wir nachher auch eine Notengebung herstellen, die transparent, nachvollziehbar und aussagekräftig ist.
Wir setzen ein Note
In den folgenden Abschnitten betrachten wir genauer, wie diese Vorstellung von Qualität nun in einem Kompetenzraster sichtbar wird und welche Möglichkeiten wir haben, um daraus nun eine nachvollziehbare Benotung zu schaffen. Dazu gebe ich Einblick in unterschiedliche Benotungsansätze aus den SELF-Experimenten an der FMS und anderen Basler Schulen. Alle Beteiligten gehen dabei von derselben Prämisse aus: Der Unterricht wird in einzelne Kompetenzen unterteilt, die unterschiedliche Schwierigkeitsgrade aufweisen. Die Schüler:innen erhalten Gelegenheit, diese Kompetenzen nachzuweisen. Dabei wird jede Kompetenz nach einem Pass/Fail-Ansatz bewertet. Nur wenn die Qualitätsanforderungen erfüllt sind, gilt die Kompetenz als erfüllt. Ansonsten muss sie in einem Redo nochmals versucht werden. Schliesslich wird jede nachgewiesene Kompetenz der Note angerechnet. Bei der genauen Ausgestaltung und Zusammensetzung der Note können aber unterschiedliche Wege gewählt werden.
Kompetenzen gewichten
Die einfachste Methode, um ihre Leistungen in eine Note umzuwandeln, besteht darin, einfach die gezeigten Kompetenzen zu zählen und zu addieren. Dabei geht man von der Note 1 als Startpunkt aus. D.h. die Schüler:innen starten alle mit der Note 1 und arbeiten sich dann entsprechend ihren Fähigkeiten, der investierten Zeit und dem aufgebrachten Aufwand zu einer höheren Note hoch. Jede nachgewiesene Kompetenz erhöht die Note um einen klar definierten Wert.
Die Kompetenzraster unten zeigen, wie dies in Biologie oder im bildnerischen Gestalten konkret funktioniert. Das Raster von Stefano Muratore ist hier beispielsweise so aufgebaut, dass mit dem Nachweis der grundlegenden Kompetenzen die Note 4 erreicht werden kann. Diese bilden also die erwartete Qualität für eine genügende Note. Beim Beispiel zum bildnerischen Gestalten genügen die grundlegenden Kompetenzen nicht für eine genügende Note. Für eine 4 müssen hier in mindestens zwei Bereichen auch fortgeschrittene Kompetenzen gezeigt werden.
Jonny Lee vom Gymnasium Bäumlihof hat die Bewertung der Kompetenzen im Fach Pädagogik und Psychologie noch weiter vereinfacht. Beim Thema Kommunikation wurden insgesamt sechs Kompetenzen definiert, die aufeinander aufbauen. Die Grundlagen werden im Unterricht erarbeitet und in zwei Qualitätschecks überprüft. Werden diese erfolgreich absolviert stehen die Schüler:innen auf der Note 4. Für jede weitere Kompetenz erhalten die Schüler:innen eine halbe Note.
Im Französischunterricht von Andrea Brand und Pauline Pivot wird die Gradierung der Notenpunkte noch verfeinert. Auch hier wird im Kompetenzraster aufgezeigt, welche Kompetenzen für einen 4er nötig sind. Die gezeigte Leistung wird dabei in zwei Niveaus unterteilt. Entsprechend können unterschiedlich hohe Notenpunkte beim Zeigen der Kompetenzen erreicht werden. Dadurch wird die Note differenzierter und ermöglicht genauere Rückschlüsse auf den Leistungsstand der Schüler:innen.
Der Vorteil dieser Rechnungsart liegt darin, dass hier eine sehr differenzierte Note entsteht, die genauere Rückschlüsse auf den Leistungsstand der Schüler:innen erlaubt. Gleichzeitig ist eine solche Aufschlüsselung komplex und setzt eine sehr genaue Vorstellung von Qualität voraus.
In allen Beispielen wird der Kompetenzerwerb jedoch sehr eng an die Note geknüpft. In der Praxis führt dies dazu, dass die Schüler:innen immer sehr genau ausrechnen werden, welche Kompetenz sie nachweisen wollen, um auf die gewünschte Note zu kommen. So wird jede Kompetenz weiterhin nur als Stolperstein für eine bessere Note gesehen und nicht als Möglichkeit, wirklich etwas zu lernen.
Kompetenzbänder und Notengespräche
Die Berechnung von Notenpunkten ist jedoch längst nicht der einzige Ansatz, um eine Note festzulegen. Das Kompetenzraster von Daniel Brodbeck und seine Umsetzung im Unterricht bieten ein gutes Beispiel dafür, wie die Bewertung der Kompetenzen vereinfacht werden kann und wie im gleichen Zuge die Note während dem Lernen in den Hintergrund tritt. In seinem Unterricht zeigen die Schüler:innen erst am Schluss der Unterrichtseinheit ihren Lernfortschritt in einem einzigen Notengespräch.
Um dort aus den gezeigten Kompetenzen eine Note zu setzen, unterteilt er sein Kompetenzraster in mehrere horizontale Kompetenzbänder. Jedes Kompetenzband behandelt einen Themenbereich und ist in drei Stufen untereilt: Grundlagen (Note 4), Fortgeschritten (Note 5), Erweitert (Note 6).
Beim Notengespräch schätzen sich die Schüler:innen selbst ein, wo sie in Ihrem Lernen stehen und geben an, auf welcher Stufe sie geprüft werden wollen. Wenn eine Schüler:in also eine fünf erreichen will, muss sie zeigen, dass sie die Kompetenzen auf der fortgeschrittenen Stufe nachweisen kann. Für jede Kompetenz, die nicht erreicht wird, gibt es Abzug von der Gesamtnote. Es ist also auch in diesem Ansatz möglich, Teilnoten zu setzen.
Die Vorteile dieses Benotungsansatzes bestehen darin, dass die Schüler:innen hier nicht in kleinen Inkrementen ihre Note aufbauen, sondern eine bestimmte Qualität der Arbeit anstreben. Diese wird erst am Ende der Lerneinheit gezeigt und von der Lehrperson eingeschätzt. Zudem wird hier die Anzahl der Kompetenzgespräche auf ein absolutes Minimum reduziert, indem nur ein Gespräch pro Schüler:in und Lerneinheit durchgeführt wird. So kann Daniel Brodbeck seine Zeit im Unterricht gezielt für Betreuung, Coaching, Inputs und Workshops nutzen.
Kompetenzbündel
Ein Ansatz, der diesen Gedanken weiterführt, ist die Arbeit mit Kompetenzbündeln. Dabei werden mehrere Kompetenzen zusammengefasst und als Einheit betrachtet, statt sie einzeln zu bewerten. Dieses Prinzip, bekannt als Specification Grading, wurde von der amerikanischen Professorin Linda Nilson (2014) entwickelt. Es stellt höhere Anforderungen an die Schüler:innen, da für halbfertige Aufgaben keine Punkte vergeben werden. In Kombination mit einer Pass/Fail-Bewertung wird sichergestellt, dass eine Note nur dann vergeben wird, wenn alle geforderten Vorgaben (Specifications) vollständig erfüllt sind.
Dieser Ansatz hat mich zu meinem Kompetenzraster und der dazugehörigen Benotung inspiriert. Mit der Aufteilung meines Unterrichts in Wissen und Projekte habe ich eine gute Ausgangslage, um mein Bewertungsraster in Bündel zu unterteilen. Dabei lasse ich von einer einfachen Maxime leiten: “Gib für Wissen eine 4“. Damit drücke ich aus, dass das historische Wissen die Grundlage ausmacht, mit der dann Projekte umgesetzt werden können. Dieses Wissen ist eine zwingende Voraussetzung, um den Kurs zu bestehen und kann auch nicht mit Projektkompetenzen kompensiert werden.
Um dies zu erreichen, definiere ich eine vorgegebene Anzahl von Wissenskompetenzen, die Lernenden zeigen müssen, um die genügende Note 4 zu erreichen. Mit den gezeigten Wissenskompetenzen demonstrieren Sie, dass sie sich Wissen angeeignet haben, aber noch keine komplexeren Anforderungen gezeigt haben. Werden weniger Wissenskompetenzen gezeigt, gilt der Kurs als nicht bestanden und es wird eine ungenügende Note gesetzt.
Erst wenn die verlangten Wissenskompetenzen gezeigt wurden, können auch Projektkompetenzen angerechnet werden. Jedes Projekt ist hierbei in mehrere Kompetenzen unterteilt, die unabhängig voneinander nachgewiesen werden können. Eine höhere Note erreichen sie aber nur, wenn mehrere Projektkompetenzen nachgewiesen werden. In meinem Raster sieht man, wie ich die Kompetenzbündel zusammengestellt habe. So müssen für eine 4.5 mindestens drei Projektkompetenzen gezeigt und ein Logbuch vollständig ausgefüllt werden. Für eine 6 müssen alle Projekte in einem Semester vollständig und den Anforderungen entsprechend durchgeführt werden.
Die Arbeit mit Kompetenzbündel hat mehrere Vorteile. Es gibt den Schüler:innen eine klare Vorstellung der zu erreichenden Qualität und ermöglicht ihnen, ihren Lernprozess gezielt zu steuern. Da sie aber nicht für jede Kompetenz einzelne Notenpunkte erhalten, liegt der Fokus stärker auf dem tatsächlichen Lernen. Gleichzeitig erhöht sich die Verbindlichkeit: Eine Note wird nur vergeben, wenn alle geforderten Kompetenzen vollständig erfüllt sind.
Fazit und Ausblick
Wie wir gesehen haben, gibt es viele unterschiedliche Ansätze, Kompetenzen in eine Note zu konvertieren. Jeder dieser Ansätze – ob Kompetenzbündel, Pass/Fail-Bewertung oder Notengespräche – hat spezifische Vor- und Nachteile, die sorgfältig abgewogen werden müssen. Entscheidend ist jedoch weniger das gewählte System als vielmehr die klare und präzise Vorstellung von Qualität, die ihr zugrunde liegt. Nur wenn die erwartete Qualität genau definiert ist, können wir sicherstellen, dass Schüler:innen verstehen, worauf sie hinarbeiten und so ihr Lernen gezielt steuern können. Auf dieser Basis entsteht dann eine Note, die nicht nur den Leistungsstand der Schüler:innen abbildet, sondern auch eine Orientierung für die weitere Entwicklung bietet.
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© Lukas Pfeifer, 2025