In diesem Semester habe ich meinen Geschichtsunterricht auf SELF umgestellt. Das heisst, ich habe die Inhalte meines Unterrichts in einzelne Module unterteilt, die sich die Schüler:innen selbst erarbeiten können. Ihre Kompetenzen weisen sie mir je nach Modul in einem persönlichen Gespräch, in einem Quiz, als Sprachnachricht oder in einem Lernprodukt nach, wobei sie mehrere Versuche haben. Die Kompetenznachweise werden dabei nicht benotet, sondern gelten als entweder erreicht oder noch nicht erreicht. Aus der Anzahl der nachgewiesenen Kompetenzen wird dann die Semesternote errechnet.
Der Wechsel auf SELF hat meinen Unterricht ziemlich auf den Kopf gestellt und war mit einigem Aufwand verbunden, doch ich hatte gute Gründe, um mich auf diese tiefgreifenden Veränderungen einzulassen. In diesem Beitrag berichte ich, was mich zu dieser tiefgreifenden Weiterentwicklung meines Unterrichts bewogen hat und wie ich auf der Basis meines projektbasierten Unterrichts mein Kompetenzraster und die Module aufgebaut habe. Diese bilden die Grundlage für meinen Unterricht, auf die ich mich in nachfolgenden Beiträgen immer wieder beziehen werde.
- Warum der ganze Aufwand?
- Mein Kompetenzraster
- Wissen
- Obligatorisches Wissen
- Freiwillige Vertiefung
- Projekte
- Unterteilung in einzelne Kompetenzen
- Vorteile bei der Bewertung
- Fazit und Ausblick
Warum der ganze Aufwand?
In den vergangenen Jahren habe ich bereits Erfahrungen mit projektbasiertem Lernen gemacht, indem die Schüler:innen anstatt Prüfungen abzulegen, Lernprodukte erstellen. Dabei sind spannende Produkte entstanden, aber die Resultate waren nicht nur zufriedenstellend. Zum einen geriet in meinem projektbasierten Unterricht die Wissensvermittlung in den Hintergrund. Das lag auch daran, dass die Durchführung und Begleitung der Projekte viel Zeit in Anspruch nahm, die im traditionellen Unterricht mit der Vermittlung von Stoff gefüllt wurden. Dazu kam, dass ich keine Prüfungen mehr durchführte, sondern nur noch die fertigen Lernprodukte benotete. Dabei sank automatisch die Verbindlichkeit der Schüler:innen, sich vertieft mit dem nötigen Wissen zu einem Thema auseinanderzusetzen, eine Rückmeldung, die auch von meinen Schüler:innen festgestellt wurde.
Auch die alleinige Benotung der Lernprodukte stellte eine zunehmende Herausforderungen dar. Da nur das Lernprodukt zählte, fokussierten sie sich oft nur auf die schnelle Erstellung des Produktes, anstatt den einzelnen Schritten der Erstellung genügend Zeit und Arbeit zu widmen. Dies führte oft zu halbgaren Produkten, die ich dann korrigieren und benoten musste, ohne einen wirklichen Einblick in den Lernprozess zu erlangen. Mit der Einführung von ChatGPT wurde es zudem immer schwieriger festzustellen, ob die Lernprodukte meiner Schüler:innen wirklich selbst erstellt worden waren.
Diese Herausforderungen lassen mich nun diesen Versuch mit SELF wagen. Davon verspreche ich mir mehrere Vorteile:
- Die Wissensaneignung soll wieder ein zentraler Teil meines Unterrichts werden.
- Der Prozess bei Projekten soll mehr in den Vordergrund rücken
- Mit SELF kann ich der Problematik der Benotung entgegenwirken.
Die Schüler:innen erarbeiten sich das Wissen selbst weisen und mir die Wissenskompetenzen dann individuell nach. So entsteht eine starke Verbindlichkeit, sich mit Wissen auseinanderzusetzen. Durch das individuelle Nachweisen ihrer Kompetenzen, erhalte ich einen genauen Überblick des aktuellen Lernstandes meiner Schüler:innen.
Dafür unterteile ich die Projekte in mehrere separate Projektkompetenzen. So muss die Vor- und Nachbereitung des Projekts genauso gezeigt werden wie das eigentliche Lernprodukt. In SELF habe ich zudem die Möglichkeit, eine Projektkompetenz mündlich einzufordern und so sicherzustellen, dass die abgegebenen Texte wirklich selbst verfasst wurden.
Denn hier muss ich einzelne Kompetenzen nicht mehr mit Zahlen bewerten, sondern entscheide anhand eines Pass/Fail-Systems nur noch, ob die angeforderte Qualität erreicht ist oder nicht. Damit wird eine grössere Verbindlichkeit geschaffen und die Schüler:innen müssen sich gut überlegen, welche Kompetenzen sie in Angriff nehmen wollen.
Diese Überlegungen und Herausforderungen haben schliesslich dazu geführt, ein Kompetenzraster für meinen Geschichtsunterricht zu erstellen, das sowohl die Wissensvermittlung, als auch die Projektarbeit miteinander verknüpft.
Mein Kompetenzraster
Bei der Erstellung meines Kompetenzrasters war mir nun wichtig, dass es sowohl die Wissensaneignung als auch die Projektarbeit klar strukturiert und verbindlich macht. Einerseits sollte das Raster den Schüler:innen deutlich zeigen, welches Wissen unerlässlich ist und wie sie dieses nachweisen können. Andererseits wollte ich sicherstellen, dass Projekte nicht nur auf das fertige Endprodukt reduziert werden. Stattdessen sollte das Raster den gesamten Prozess – von der Vorbereitung über die Umsetzung bis hin zur Reflexion – sichtbar machen, um den Lernfortschritt greifbar und den Erfolg nachvollziehbar zu gestalten.
Um die Kompetenzen in meinem Unterricht klar zu strukturieren, habe ich sie in zwei Stufen unterteilt: Wissens- und Projektkompetenzen. Diese orientieren sich an der Bloomschen Taxonomie, wobei Wissenskompetenzen die unteren drei Ebenen (Wissen erarbeiten, verstehen und anwenden) abdecken. Projektkompetenzen greifen die oberen Stufen auf, bei denen die Schüler:innen ihr Wissen analysieren, bewerten und in eigenen Produkten umsetzen. Zusätzlich reflektieren sie ihren Lernprozess und beurteilen die Qualität ihrer Ergebnisse.
Diese Unterteilung schafft eine klare Struktur: Wissen ist nicht länger Selbstzweck, das abgefragt und bepunktet wird, sondern es bildet das Fundament für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema anhand eines Lernproduktes. Auch das Lernprodukt wird nicht einfach nur erstellt, um eine Note zu erreichen. Stattdessen wird es in einen klaren Zusammenhang mit dem eigenen Lernen und mit überfachlichen Kompetenzen gestellt, womit es eine grössere Bedeutung und Nutzen für die schulische und nachschulische Laufbahn erhält.
In einem nächsten Schritt müssen nun die Inhalte, Methoden und angestrebten Lernprodukte in einzelne Module verpackt werden. Jedes Modul wird dabei mit einer konkreten Kompetenz versehen, die gezeigt werden kann und somit das individuelle Lernen für mich sichtbar macht.
Wissen
Wenn ich im kompetenzbasierten Unterricht Platz für fachübergreifende Kompetenzen mache, setzt das Voraus, dass ich den Umfang des vermittelten Wissen im traditionellen Unterricht reduzieren muss. Schliesslich verlange ich den Schüler:innen zusätzliche und anspruchsvolle Fähigkeiten ab, die viel Zeit benötigen. Ohne klare Abstriche bei der Wissensvermittlung ist das nicht möglich. Trotzdem ist der Wissenserwerb zentral für die erfolgreiche Durchführung von Projekten und das Erstellen von Lernprodukten. Ich muss jetzt aber genau abwägen, welches Wissen für die fachlichen Anforderungen und für das Weiterarbeiten mit dem Wissen noch relevant ist.
Obligatorisches Wissen
Um dies zu erreichen, habe ich in meinem Geschichtsunterricht in jedem Themenbereich Wissensgrundlagen definiert, deren Erarbeitung für die Schüler:innen obligatorisch ist. Dabei handelt es sich um relevantes Überblickswissen, sowie Konzepte und Begriffe, die für das Verständnis des Themas zentral sind. Dieses Grundlagenwissen muss von allen Schüler:innen erarbeitet, verstanden und nachgewiesen werden, damit sie meinen Geschichtskurs erfolgreich absolvieren können. In meiner Lerneinheit zur Amerikanischen Geschichte umfasst dies z. B. die Gründung Amerikas, die Auswirkungen des Bürgerkriegs und grundlegende Konzepte wie Checks and Balances, systemischen Rassismus und die kapitalistischen Grundzüge der Wirtschaft. Dieses Wissen bildet das Fundament für weitere Projekte.
Freiwillige Vertiefung
Neben diesem Grundlagenwissen gibt es aber noch zahlreiche weitere Themen, konkrete Beispiele und Quellen, die ich früher im klassischen, frontalen Unterricht mit den Schüler:innen behandelt habe und die hier auf der Strecke bleiben. Diese wegzulassen wäre trotz allen guten Gründen ein schmerzlicher Verlust. So habe ich auch Wissensmodule erstellt, die nicht obligatorisch sind, sondern von den Schüler:innen aus eigenem Interesse freiwillig gewählt werden können. Dabei gebe ich lediglich die Anzahl der zu zeigenden Wissenskompetenzen vor. Die Schüler:innen können bei der amerikanischen Geschichte z.B. wählen, ob sie sich zusätzlich lieber mit der Bürgerrechtsbewegung, den Native Americans oder der Western Frontier beschäftigen wollen.
Die Wissensmodule werden mit Texten, Links, Videos und Leitfragen versehen, die es den Schüler:innen ermöglichen, sich das Thema selbständig zu erarbeiten und schliesslich ihr Wissen in einem Quiz, Gespräch oder einer Audionachricht zu zeigen.
Projekte
Nachdem die Schüler:innen sich nun mit dem Grundlagenwissen auseinandergesetzt haben, gehen sie in einem nächsten Schritt an die Erstellung eines Lernproduktes. Hier zeigen sie, dass sie einen Themenbereich wählen, eigene Schwerpunkte setzen und eine konkrete Methode (z.B. Recherche, Quellenanalyse oder Thesenargumentation) selbständig und nach klaren Qualitätsmerkmalen durchführen können. Dabei ist es mein Ziel, den Lernprozess in den Vordergrund zu rücken. Bei der Erstellung der Produkte sollen also auch Kompetenzen, wie die Recherche, das Verfassen von Fragestellungen, sowie das Herausarbeiten von konkreten und zielgerichteten Argumenten Gewicht erhalten und verbindlich nachgewiesen werden.
Unterteilung in einzelne Kompetenzen
Um dies zu ermöglichen und für die Schüler:innen sichtbar und verbindlich zu machen, habe ich die Projekte in kleinere Module unterteilt, die einzeln und in einer bestimmten Reihenfolge erarbeitet werden können. Dabei unterscheide ich zwischen vier Bereichen: die Vorbereitung, die Erstellung des Produkts und die Beurteilung der Qualität des Produkts. Zusätzlich wird bei jedem Projekt ein Logbuch geführt.
- Die Vorbereitung ist ein zentraler Schritt bei jedem Projekt, der oftmals über das Gelingen entscheidet. Hier schaffen die Schüler:innen die Grundlagen für das eigentliche Produkt. Sie sammeln, ordnen, strukturieren, untersuchen und beurteilen Informationen. Die Vorbereitung ist auch der Ort, an dem Sie eine eigene These oder Fragestellung entwickeln, die dann im Produkt umgesetzt wird.
- Beim Produkt liegt nun der Fokus auf der konkreten Umsetzung der Fragestellung und Leitfragen. Zusätzlich wird immer eine konkrete Methode angewandt, bei der sich die Schüler:innen an klare Vorgaben halten müssen. Damit werden auch überfachliche Kompetenzen gestärkt.
- Als dritten Schritt führen die Schüler:innen eine Beurteilung der Qualität ihrer Arbeit durch und untersuchen, ob und warum ihr geschaffenes Produkt auch gut ist. Dafür können sie ihr Produkt mit den Qualitätskriterien vergleichen, Peer-Feedbacks durchführen, mit einer KI diskutieren oder ihr Produkt mit einem Modell vergleichen.
- Im Logbuch wird der eigene Lernprozess reflektiert. Dafür definieren die Schüler:innen ein Ausgangslage und formulieren persönliche Ziele, die sie bei der Erstellung des Produkts verfolgen wollen. Am Ende des Projektes reflektieren sie die einzelnen Schritte im Projekt und überprüfen, ob sie ihre Ziele erreicht haben. Daraus können dann Handlungsweisen für weitere Projekte formuliert werden. Wie das Logbuch genau funktioniert, beschreibe ich in einem separaten Beitrag.
Vorteile bei der Bewertung
Die Note entsteht dann aus der Anzahl der gemeisterten Projektmodule. Dabei werden alle Kompetenzen mit einem Pass/Fail-Ansatz beurteilt. Eine Kompetenz gilt nur als nachgewiesen, wenn alle Qualitätsmerkmale erfüllt sind, ansonsten muss nachgebessert werden. Für die Schüler:innen hat dies zweierlei Konsequenzen. Sie können frei entscheiden, wie viele dieser Kompetenzen sie nachweisen wollen. Wenn sie aber eine Kompetenz nachweisen wollen, müssen sie ganze Arbeit leisten und alle vorgegebenen Schritte befolgen. Dies kann in der Praxis bedeuten, dass einzelne Schüler:innen nur vorbereitende Kompetenzen zeigen, ohne das eigentliche Produkt zu erstellen.
Dieses Vorgehen wirkt sich vorteilhaft auf meine Korrektur und Bewertung aus. Einerseits erhalte ich weniger Arbeiten zur Korrektur, da es sich die Schüler:innen gut überlegen, ob sie den Aufwand, eine Kompetenz vollständig zu zeigen, wirklich auf sich nehmen wollen. Das bedeutet für mich, dass ich nur noch gute Arbeiten von Schüler:innen bewerte, die wirklich bemüht sind, sich die Kompetenzen anzueignen. Und sie geben mir mit dem Nachweisen der Kompetenzen einen Einblick in ihren Lernprozess, indem sie ihre Entscheidungen in den einzelnen Schritten sichtbar machen. Zu guter Letzt erhält die Note eine konkrete und nachvollziehbare Bedeutung, da alle Notenpunkte an konkrete Kompetenzen geknüpft sind.
Ein allfälliger Nachteil besteht jedoch darin, dass einige Schüler:innen sich gar nicht mehr auf die Projekte einlassen, sondern sich alleine mit dem Nachweisen von Wissenskompetenzen eine genügende Note sichern.
Fazit und Ausblick
Mit der Unterteilung meines Unterrichts in Wissens- und Projektkompetenzen habe ich einen Weg gefunden, das Aneignen von Wissen wieder zu stärken und gleichzeitig die Lernprozesse der Schüler:innen sichtbar zu machen.
In den kommenden Blogbeiträgen werde ich detailliert auf die Funktionsweise meines SELF-Unterrichts eingehen. Dabei werde ich beleuchten, wie ich Scaffolding einsetze, Lernprozesse begleite, das Assessment gestalte und schliesslich wie die Benotung konkret umgesetzt wird. Mein Ziel ist es, transparent zu zeigen, wie sich Unterricht so gestalten lässt, dass sowohl der Lernprozess als auch die erzielten Ergebnisse nachhaltig, nachvollziehbar und sinnvoll sind – für Lehrende wie Lernende.
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© Lukas Pfeifer, 2025