Im kompetenzbasierten Unterricht, oder SELF, wie wir es an der FMS nennen, bewegen sich die Schüler:innen selbständig durch eine Lernumgebung, entscheiden, in welcher Reihenfolge und wann sie was lernen wollen. Dafür brauchen sie eine klare Orientierung darüber, welche Ziele sie erreichen sollen und welche Schritte notwendig sind, um nicht vom Weg abzukommen. Hier kommen Kompetenzraster ins Spiel.
Kompetenzraster bieten eine (oftmals tabellarische) Übersicht über eine Lerneinheit, in der alle Themenbereiche aufgeführt und in Schwierigkeitsstufen geordnet sind. Ein gutes Kompetenzraster ist dabei wie eine Landkarte, die die Lernenden durch den Unterricht führt und ihnen die verschiedenen Pfade zeigt, die zum Ziel führen. Wie bei einer Landkarte gibt es einfache, geradlinige Wege für grundlegende Kompetenzen und anspruchsvollere Routen, die mehr Einsatz, Anstrengung und Expertise verlangen. Das Raster hilft den Schüler:innen, sich zu orientieren, ihre eigenen Fortschritte einzuschätzen und bewusst Entscheidungen darüber zu treffen, welchen individuellen Lernweg sie einschlagen wollen.
Je klarer und transparenter ein Kompetenzraster die verschiedenen Stationen und Schwierigkeitsgrade definiert, desto eher fühlen sich die Schüler:innen motiviert, neue Herausforderungen anzugehen und sich auch an Aufgaben zu wagen, die sie sich sonst vielleicht nicht zugetraut hätten. Im gleichen Zuge entsteht mit einem Kompetenzraster eine gemeinsame Vorstellung von Qualität, die im Unterricht erreicht werden soll.
In diesem Beitrag zeige ich anhand von konkreten Beispielen, wie Kompetenzraster funktionieren und was man alles beachten muss, wenn man ein eigenes Kompetenzraster aufbaut. Mein eigenes Kompetenzraster für meinen Geschichtsunterricht stelle ich in einem separaten Beitrag vor.
- Wie kann ein Kompetenzraster gelingen?
- Bloomsche Taxonomie
- Wir bauen ein Kompetenzraster
- Themenbereiche und Lernmodule
- Lernniveaus und Labels
- Kompetenzen
- Fazit und Ausblick
Wie kann ein Kompetenzraster gelingen?
Wenn wir ein Kompetenzraster erstellen wollen, das die Schüler:innen auch nutzen können, um ihr Lernen selbst zu steuern, dann sollte es vor allem eines sein: klar und verständlich. Es muss einen Überblick über die Lerninhalte geben und zugleich deutlich machen, welche Schwierigkeitsstufen zu bewältigen sind. Damit dies gelingt, müssen drei Aspekte bedacht werden:
- Wir müssen zuerst festlegen, welche Inhalte in einer Lerneinheit gemeistert werden sollen. Diese werden strukturiert und in einzelne Module unterteilt, die die Schüler:innen selbst erarbeiten können.
- In einem nächsten Schritt legen wir den Schwierigkeitsgrad der einzelnen Module fest und überlegen, inwiefern diese sich ergänzen oder aufeinander aufbauen. Dazu lohnt es sich, Lernniveaus zu definieren.
- Schliesslich formulieren wir die Kompetenzen aus, die jedem Modul nachgewiesen werden müssen. Hierbei ist es wichtig, dass diese als konkrete Fähigkeiten definiert werden, die auch gezeigt werden können.
Alle drei Schritte müssen sorgfältig durchdacht und klar formuliert sein, damit das Raster seinen Zweck optimal erfüllt. Zum Glück gibt es verschiedene Hilfsmittel, die uns diese Arbeit erleichtern. Ein Blick auf die Bloomsche Taxonomie kann dabei besonders hilfreich sein.
Bloomsche Taxonomie
Die Bloomschen Taxonomie wurde 1956 vom Psychologen Benjamin Bloom entwickelt und dient dazu, kognitive Lernziele in sechs Schwierigkeitsstufen zu gliedern, die hierarchisch aufeinander aufbauen. Das Modell hilft, Wissen und Kompetenzen logisch in Lernziele zu strukturieren und wird bis heute, meist in einer überarbeiteten Version von Krathwohl und Anderson (2001), genutzt.
Nach der Bloomschen Taxonomie beginnt der Lernprozess mit dem Erinnern und Verstehen von Wissen zu einem Thema. Dieser Einstieg bildet die Basis, um das Gelernte anschliessend im spezifischen Kontext anzuwenden, beispielsweise durch die Bearbeitung konkreter Beispiele. Auf den mittleren Kompetenzstufen wird das Wissen weiter vertieft, indem es analysiert, strukturiert und kritisch bewertet wird. Hierbei entstehen differenzierte Perspektiven und fundierte Argumentationen. Die höchste Stufe schliesslich verlangt kreative Eigenleistung: Aus der Analyse und Bewertung entwickelt sich eine neue, originelle Arbeit, die das Gelernte auf innovative Weise zusammenführt. Dieses stufenweise Vorgehen dient als Leitfaden, um Lernziele klar zu strukturieren und den Aufbau der Kompetenzen sichtbar zu machen.
Für jede der sechs Stufen der Bloomschen Taxonomie wurden Verben formuliert, die die entsprechenden Fähigkeiten und Fertigkeiten konkret beschreiben. Dies hat mehrere Vorteile: Erstens werden kognitive Leistungen damit nicht als starre Zustände, sondern als von außen sichtbare Aktivitäten aufgefasst und können so besser beurteilt werden. Zweitens erleichtern diese Verben die Formulierung von Lernzielen. Wenn ich zum Beispiel auf der untersten Stufe ausdrücken möchte, dass die Schüler:innen ein Thema kennen sollten, kann ich Verben wie benennen, aufzählen, beschreiben oder berichten verwenden. Diese Verben machen deutlich, wie anspruchsvoll eine Kompetenz ist, indem sie die erforderliche kognitive Leistung als konkrete Handlung beschreiben.
Die beiden Kernaspekte der Bloomschen Taxonomie – die Stufung der Kompetenzen und die passenden Verben zur Formulierung der Lernziele – helfen uns nun bei der Erstellung eines eigenen Kompetenzrasters.
Wir bauen ein Kompetenzraster
Nachdem wir uns nun mit den Grundlagen der Bloomschen Taxonomie auseinandergesetzt haben, wird es Zeit, mit dem Bau eines eigenen Kompetenzrasters zu beginnen. Dieses sollte gut strukturiert sein und den Schüler:innen eine schnelle Übersicht über die Lerninhalte und der zu zeigenden Kompetenzen geben. Gehen wir aber mal Schritt für Schritt vor.
Themenbereiche und Lernmodule
Bevor wir überhaupt mit der Ausformulierung der Kompetenzen beginnen können, brauchen wir selbst einen Überblick über die jeweilige Lerneinheit. D.h. wir müssen alle Inhalte einer Lerneinheit zusammentragen und in Bereiche unterteilen. Je nach dem können die einzelnen Bereiche in Über- und Unterthemen sortiert werden. Mit dieser Auslegeordnung können wir nun beginnen, die Inhalte in einzelne Päckchen oder Module zu unterteilen. Dabei müssen wir überlegen, wie wir die Inhalte so aufbereiten, dass die Schüler:innen das Wissen selbst aneignen oder aufgrund von Anleitungen ein Lernprodukt erstellen können.
Mit dieser Themenstruktur und den einzelnen Modulen können wir das eigentliche Raster aufbauen. Dieses wird in den meisten Fällen als Tabelle dargestellt. In den vertikalen Spalten werden die Themen und Unterthemen aufgelistet, während in den horizontalen Zeilen der Schwierigkeitsgrad angegeben wird. Das wird in den beiden Beispielen unten sichtbar.
Lernniveaus und Labels
In den beiden Beispielen oben werden die Kompetenzen auf der horizontalen Ebenen in drei Schwierigkeitsgrade unterteilt. Dies hilft, die relativ komplexe Aufteilung der Bloomschen Taxonomie zu vereinfachen und somit für die Schüler:innen und uns Lehrpersonen zugänglich zu machen. Zusätzlich können die Niveaustufen mit Labels versehen werden, die den Schüler:innen verdeutlichen, welchen Schwierigkeitsgrad eine Aufgabe hat. Bei der Vergabe der Labels kann man sich einerseits auf die Kompetenzen oder auf die Lernstufe der Schüler:innen beziehen. Der Fantasie sind hier kaum Grenzen gesetzt:
- Grundkompetenzen, Erweiterte Kompetenzen, Fortgeschrittene Kompetenzen
- Grundlagen, Fortgeschritten, Erweitert
- Basic, Advanced, Pro
- Beginner, Advanced, Expert
- Anfänger:in, Fortgeschrittene, Lernprofi
Die genauen Begrifflichkeiten sind dabei weniger entscheidend, als dass die Schüler:innen verstehen, was sie bedeuten und welche Merkmale die einzelnen Stufen voneinander unterscheiden.
In meinem eigenen Unterricht habe ich nach einigen Versuchen nur zwischen zwei Kompetenzebenen unterschieden: Wissen und Projekte. Diese sind nicht unbedingt als Lernniveaus zu verstehen. Sie bezeichnen vielmehr unterschiedliche Funktionen von Kompetenzen. Während bei den Wissenskompetenzen der Erwerb von Wissen als Grundlage des Geschichtsunterrichts im Vordergrund steht, erwarten die Projektkompetenzen die konkrete Umsetzung von Lernprodukten, bei denen komplexere Kompetenzen wie Analyse, Bewertung und Synthese zum Tragen kommen. Wie ich das genau mache, beschreibe ich im Beitrag zu Wissen und Projekte.
Kompetenzen
Mit der Unterteilung des Rasters in einzelne Lernniveaus, haben wir eine wichtige Grundlage geschaffen, um mit der Ausformulierung der Kompetenzen zu beginnen. Besonders gut eignen sich dafür "Ich kann"-Sätze, da sie die Perspektive der Schüler:innen einnehmen und die Lernziele klar, verständlich und aus ihrer Sicht formulieren. Bei der Formulierung können wir die Verben der Bloomschen Taxonomie nutzen, um anhand des verwendeten Verbs direkt den Schwierigkeitsgrad der jeweiligen Kompetenz deutlich zu machen. Ein Beispiel aus dem Geschichtsunterricht zum Thema Imperialismus veranschaulicht dies:
Kompetenzen zum Imperialismus
- Ich kann die wirtschaftlichen Ursachen des Imperialismus nennen und beschreiben.
- Ich kann die wirtschaftlichen Ursachen untersuchen, Schwerpunkte setzen und meine Entscheidungen begründen.
- Ich kann den Einfluss des Imperialismus auf den Sklavenhandel untersuchen und dessen Folgen für die heutige Welt kritisch bewerten.
Hier werden die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade deutlich, die durch die Verben vermittelt werden. Auf der untersten Stufe, die sich auf die reine Verarbeitung von Wissen konzentriert, stehen Verben wie „nennen“ oder „beschreiben“. Wenn jedoch anspruchsvollere Kompetenzen gefragt sind, zeigen Verben wie „untersuchen“ oder „bewerten“, dass ein höherer Schwierigkeitsgrad erreicht werden soll. Die präzise Ausformulierung der Kompetenzen hat sowohl für Schüler:innen wie auch die Lehrpersonen Vorteile. Die „Ich kann“-Sätze schaffen eine gemeinsame Vorstellung von der angestrebten Qualität und machen die Anforderungen transparent und greifbar.
Fazit und Ausblick
Mit der Zusammenstellung der Module, der Einteilung in Schwierigkeitsgrade und der Ausformulierung der Kompetenzen in “Ich-Kann-Sätze” haben wir nun das Rüstzeug, um ein eigenes Kompetenzraster zu erstellen, das den Schüler:innen eine klare Orientierung bietet. Anhand eines solchen Rasters sehen sie genau, welche Themen und Unterthemen behandelt werden und was bei jedem Modul von ihnen erwartet wird. So werden sie befähigt, selbst zu entscheiden, welche Kompetenzen sie in welcher Reihenfolge in Angriff nehmen wollen. Damit ist das Fundament für ein selbstgesteuertes Lernen gelegt.
Die Erstellung des Kompetenzrasters ist aber nur ein erster Schritt auf diesem Weg. Für einen erfolgreichen kompetenzbasierten Unterricht à la SELF müssen weitere Aspekte bedacht werden, wie die Assessment-Formate und die Benotung, die Unterstützung des Lernens mit Scaffolding und die Gestaltung des Unterrichts. Diese und andere Themen werde ich in folgenden Blogbeiträgen rund um den SELF-Unterricht genauer beleuchten. So stay tuned!
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© Lukas Pfeifer, 2025